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Aktuelle Arbeiten

* * *     NEU: Hört uns endlich zu! — Gespräche mit Kindern und Jugendlichen    * * *

Zuletzt erschienen

2022: Expedition Bayern 2022 — Eine Entdeckungsreise mit Kindern

2020: Auszeit — Impressionen der Coronakrise aus Distanz und Nähe

2019: HEARTBEAT — Dokumentation eines musiktherapeutischen und theaterpädagogischen Gemeinschaftsprojekts von TrommelPower Erlangen mit dem Staatstheater Nürnberg



Aus weiteren Arbeiten

gestrandet

das schild
blau und gelb
heiterer Himmel reiche felder

am auto die frau
das handy am ohr
wortlos mit leerem blick

ihre zwei jungen
stumm kaum vier
standbilder vor zerrissenem horizont

die szene lähmt meine sicht
trauer und wut
sirenen im kopf

zwischen regalen
schweigendes irren
kein wagen kein korb

am ohr die angst
an der hand
die verstummten kinder

die frau greift nach einer dose
mit fahlem blick

und stellt sie zurück

Kind, du sagst

Kind,
du sagst, du hattest alles,
du hattest Spaß, alles war gut.

Kind,
du sagst, du hast den Krieg gesehen,
hast nichts mitnehmen können,
was du lieb hast.
Du hast unten gekauert im Boot,
durchnässt, hast gefroren, geweint,
bist gelaufen, gelaufen bis in die Nacht.
Du spürtest die Angst,
die Angst vor dem Tod.

Kind,
du sagst, du vermisst dein Land,
willst zurück.
Willst nicht zurück.
Du hast hier Freunde gefunden,
liebst Schule, willst lernen,
willst stark sein, willst alles versuchen.

Willst leben.

Der Sonnenschirm

„Was machst du da eigentlich?”

Man hätte einen leicht genervten Unterton in dieser an sich harmlosen Frage vernehmen können, wäre das Geschrei der badenden Kinder im angrenzenden Pool auch nur eine Winzigkeit leiser gewesen.

Als keine Antwort kommt — vielleicht war sie ja auch im kindlichen Kreischen untergegangen — streckt sich der Mann wieder behaglich auf seiner Liege aus und blinzelt in die Sonne.

Doch der Genuss währt nicht lange. Immer wieder stören ihn unangenehme und sehr nahe Geräusche, manchmal fliegt ein dunkler Schatten über seinen gleichmäßig gebräunten, nahezu athletisch anmutenden Körper.

„Bitte, Schatz, ich möchte keinen Sonnenschirm.”

Seine ihm angetraute liebende Ehefrau müht sich schon gefühlte zwei Stunden lang mit dem Schirm ab, doch der will nicht so wie sie. Schweißperlen und eine dicke Zornesfalte zieren ihre Stirn.

„Könntest du mir vielleicht mal helfen?”, zischt sie im Clinch mit dem Schirm unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte.

Der Mann erkennt sofort, dass seiner Frau geholfen werden muss. Sein Blick geht suchend zum Hotel und, ja, dort erspäht er einen potenziellen Helfer. Würdevoll hebt er den Arm.

„Service!”

iDings

Wie jedes Handy lauscht und jedes Knistern
geortet wird, fließt jede kleine Bitte,
fließt unser Reden auch und unser Flüstern
ins Cybermeer und wird dort ewig lauern.
Es muss der Mensch bei jedem seiner Schritte
bereit zum Abschied sein und seine Daten
in cooler Tapferkeit und ohne Trauern
zu schonungslosem Nutzen weitergeben.
In jedem iDings nisten gute Paten,
die uns beschützen vor dem eignen Leben.

Wir wollen unser Sein mit allen teilen,
uns tief ins kollektive Treiben mengen,
das Weltnetz will nicht fesseln uns und engen,
es will nur hören, kennen, wissen, peilen.
Kaum dass wir störrisch uns ins Ich versenken
und schweigen, jeder Fehltritt wird uns lehren:
Nur wer bereit zum Geben ist und Schenken,
wird misslicher Gefahren sich erwehren.

Wir werden auch in unsrer Todesstunde
noch Bilder, Postings, Smileys twitternd senden,
denn Orwells Ruf an uns wird niemals enden …
Mach weiter, Mensch, gib alles und gesunde.

Nach Hermann Hesse

Das Haus hinter den Bäumen

Das Haus, das wartend hinter Bäumen steht,
ist lange Jahre ohne Geist und Leben.
Es scheint im Nirgendwo zu schweben,
ein bisschen so, wie aus der Welt geweht.

Nur manchmal sieht man einen Mann am Tor
mit kurzem Blick zum Haus hinüber spähen —
und dann mit schnellen Schritten weitergehen.
Das Haus schweigt klamm und einsam wie zuvor.

In früher Zeit war Lärmen dort und Licht,
es lebten Kinder in den weiten Räumen,
noch tastend zwischen Tag und Träumen.
Am Fenster dann und wann ein Clownsgesicht.

Fernab, im Bau, den man aufs Feld gesetzt,
wo Ratio täglich das Geschehen prägt,
und man seit jeher Wert auf Leistung legt,
da wirkt der Mann mit Stolz im Hier und Jetzt.

Er ist erfüllt. —
Und doch sind da noch Weiten,
aus denen immer wieder Rufen klingt,
worin ein nie erschöpfter Wille schwingt.

Das Haus, das leuchtend hinter Bäumen steht,
pulsiert von jungem Geist und Leben.
Es scheint in Licht und Glanz zu schweben,
ein bisschen so, wie in die Welt geweht.

Apfelkleblinge

Lieber Apfelfreund, haben Sie sich schon einmal überlegt, wie viel wertvolle Lebenszeit Sie mit dem Abzibbeln von Apfeletiketten verschleudern? — Sie wissen nicht, wovon ich spreche? Ach so, Sie lassen das Ihre Frau machen. Für die ganze Familie. Und sie wird immer ganz hibbelig davon? Könnte es nicht sein, dass sie deswegen so oft Migräne hat?

Rechnen Sie doch mal. Das Abzibbeln so eines Kleblings benötigt: Eine Sekunde für das Aufspüren des Kleblings auf der Apfeloberfläche, eine Sekunde für das Finden des winzigen Abzibbelnippels, knapp zwei Sekunden für das Abziehen des Kleblings, locker fünf Sekunden für das Abzibbeln des Kleblings vom Finger und das Deponieren des Kleblings an passender Stelle, etwa zwei Sekunden für das Abreiben des Restklebstoffs vom Apfel und weitere drei Sekunden für das Abwischen der klebrigen Finger an Hose oder sonstwie Ungeeignetem.

Bei Ihrer Liebe zu Äpfeln und der großen Liebe Ihrer Frau zu Ihnen macht das im Jahr etwa fünf Stunden unwiederbringlichen Zibbel-Zeitverlust. Denken Sie mal nach. Diese fünf Stunden könnte Ihre Frau stattdessen doch viel besser zum gründlicheren Bügeln der Hemden ihres Göttergatten verwenden — nicht? Oder für andere Dinge, da sie dann ja keine Migräne mehr hätte. Das wäre dann vielleicht auch für Sie als Ehemann ganz nett.

Was ist also zu tun?

Sie könnten Ihrer Frau vorschlagen, Äpfel nur noch an dem kleinen Obststand auf dem Marktplatz zu kaufen. Bei dem Hutzelweib mit der Laufnase und den schmierigen Fingern. Auf deren Äpfeln sind nämlich keine Kleblinge. Dafür aber anderes. Nein, das wäre keine gute Lösung.

Oder Sie könnten einen Apfelbaum in Ihrem Garten pflanzen. Wenn der mal groß ist, sind ganz bestimmt keine Kleblinge an den Früchten. Bis es soweit ist, müssten Sie Ihre Apfellust stark einschränken oder — noch besser — auf Bananen umschwenken, da kann der Klebling auf der Schale bleiben. Sie mögen keine Bananen? Sie verabscheuen die laszive Gestik mancher Frauen bei ihrem Verzehr? Möchten als richtiger Mann mit so was unter keinen Umständen in Verbindung gebracht werden? Nun, dann kommt diese Möglichkeit leider auch nicht infrage.

Vielleicht aber erkennen Sie nach einiger Zeit, wenn auch widerwillig, den wahren Wert der Apfelkleblinge.

Sie sind ein wunderschönes Beispiel für die spielerische Anregung unserer im Alltag abgestumpften Sinne. Sie bringen uns dazu, jeden Apfel wieder als paradiesische Frucht zu erkennen, ihn zu wenden und von allen Seiten aufmerksam zu betrachten. Riecht er nicht wunderbar frisch? Die fruchtig-feste Haptik erweckt in uns die Lust nach anderen prallen Früchten, unsere Fingernägel schieben sich ungeduldig und erwartungsvoll zwischen Klebling und Schale. Das krönende Erlebnis, den Apfel endlich erfolgreich von seinem Klebling befreit zu haben, setzt aufgestaute Energien frei für den unmittelbar folgenden kraftvoll sabbernden Biss.

Ich genieße mittlerweile das Abzibbeln und finde, ein Klebling pro Apfel ist viel zu wenig.